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Varroatoleranz – Bien & Milb, Umwelt, Imker

Varroatoleranz – Bien & Milb, Umwelt, Imker
(seit 1993 keine Behandlung u. kein Totalverlust, auch verlustfreie Überwinterung kommt vor, Ertrag liegt im ortsüblichen Bereich)
 

 

Was liegt nahe, wenn der Imker es möchte, dass seine Bienen allein mit Varroose fertig werden? Er sieht nach Vorbildern, denen es in der Natur gelingt, dieses Ziel ohne Hilfe von außen zu erreichen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, zu erfahren, wie es einzelne Imker offensichtlich schaffen, Völkern Bedingungen zu vermitteln, unter denen sie ohne Varroabekämpfung gleichfalls zu überleben vermögen und es ihnen mit einer auskömmlichen Ernte danken.1)

Die vermuteten Abwehrmechanismen der Urwirtin, der Apis cerana, aber auch der Primorskibiene und anderer wurden mehrfach wissenschaftlich untersucht und sind seither (vermeintlich) bekannt. Dabei geht es u.a. um das Putz-, Hygiene- und Schwarmverhalten. So wird beiden neben dem ausgeprägten Schwarmwillen das Ausräumen der parasitierten Brut als wesentliches Kriterium ihrer Varroatoleranz nachgesagt. Eine Besonderheit, u.a. bei der cerana, ist die ausschließliche Vermehrung des Parasiten in der Drohnenbrut.

 

Unsere europäischen Bienenherkünfte verfügen nicht über „historische Varroaerfahrungen“. Aus Veröffentlichungen ist jedoch ersichtlich, dass wild lebende Bienenvölker europäischer Herkünfte, unter nicht abschließend geklärten Umständen, als varroatolerant auftreten können (z.B. Arnot Forest). Wurden sie aber, wie in einem Versuch geschehen, an einem anderen Standort aufgestellt und mit den dort von Imkern „kultivierten“ Varroen infiziert, erlagen sie der Varroose ebenso schnell wie die zum Vergleich aufgestellten und gleichermaßen infizierten Kontrollvölker.4)

 

 

Haben unsere Bienen dennoch eine Chance, selber einen Weg aus dem Dilemma zu finden? Die Antwort darauf lautet: Ja, es gibt diese Chance. Sie liegt in den Bienen selber begründet, im Bien, insofern er über eine möglichst breite Genetik 8) verfügt und in einer für ihn weitgehend intakten Umwelt lebt. Nur die Rechnung darf auf keinen Fall ohne den Kontrahenten, den Milb, gemacht werden. Es bedarf der Berücksichtigung und der „ gebührenden Beachtung“ Beider, in der Weise, dass sie sich „normal“ entwickeln dürfen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass dazu Geeignete sich aufeinander einstellen können, mit der Folge, dass sich ein Gleichgewicht untereinander herstellen und halten kann. Der Weg zu diesem Gleichgewicht und das Gleichgewicht selber bestehen in einem für uns unzureichend nachvollziehbaren Erdulden, Reagieren und ggf. Sterben. Dort, wo natürliche Verhältnisse gewahrt sind, kann der Veränderung bei dem Einen die Anpassung darauf bei dem Anderen erfolgen, was im besten Fall dazu führen kann, dass sich der gewünschte Zustand (Varroatoleranz) einpendelt und behauptet oder der Parasit (Milb) mit dem dafür ungeeigneten (zu schwachen) Wirt 8) stirbt (Selektion auf beiden Seiten). Mir kommen da aber Zweifel, ob wir mittels Varroabehandlung überhaupt noch eine Evolution zulassen, die zur Erhaltung sowie zur ständigen Reaktionsentfaltung führt, notwendig wäre.

 

 

Welchen Zustand finden wir im Bien und in seinem Parasiten, dem Milb vor, wenn der Imker die Varroose gewissenhaft bekämpft? 

Insoweit der Imker eine Varroabehandlung vornimmt, liest er primär vitale und varroazid-tolerante Varroen aus; er mutiert (ungewollt) zum Varroenzüchter. Daher kann man an dieser Stelle ableiten, dass Züchten auf Varroatoleranz, ohne auf die Behandlung des Milbs zu verzichten, kontraproduktiv ist. Der Behandler gibt durch sein immer ausgeklügelteres Vorgehen dem Milb unbewusst die Richtung seiner „Zwangs-Anpassung“ (Zwangs-Evolution) vor, deren Ergebnisse sich auf den Bien, der dafür gar nicht zuständig war, immer katastrophaler auswirken.

 

Wohin soll das führen, gingen dem Imker eines Tages effektive Einflussmöglichkeiten auf den Milb verloren, was dann? Sind die seit 1993 zunehmenden Völkerverluste und die „bienengeschichtlich“ seither viel kürzeren Verlustzyklen u.a. ein Ergebnis von „Varroenzucht“?

 

 

Daraus und aus anderen plausiblen Gründen resultiert die zwingende Überlegung, ob die immer heftiger beklagten Reinvasionen durch Varroen aus anderen Völkern, die vermeintlich schlecht bzw. falsch behandelt sein sollen, in dem angenommenen Maße überhaupt stattfinden. Es könnte auch sein, dass die Effektivität der Milbenbekämpfung der „Rest“entmilbung im Winter -sie ist eine Suggestion- von Jahr zu Jahr abnimmt, durch Anpassung und Selektion der Milben an bzw. auf inzwischen geläufige Szenarien. Wer kennt den Restmilbenbestand seiner Völker präzise?

Dazu kommt, dass die Völker in der Tendenz stärker überwintern. Somit steigt auch die absolute Anzahl überwinternder Milben an. Hingegen braucht das Bienenvolk nicht mehr so lange (weniger Brutsätze) bis zum Erreichen seiner Vollstärke. Hier spielen mehrere Faktoren zusammen, mit dem gemeinsamen Effekt, die Grenze der Existenzgefährdung des Biens immer schneller zu erreichen. 2) 3)

 

 

Kennen wir überhaupt die für Varroatoleranz notwendigen x Eigenschaften des Biens? Oder gibt es bei der Annahme eines variablen Systems (variabel durch Quartier, Standort, Witterung, Tracht, Dynamik des Milbs, Drittorganismen, Pestizide, u.v.a.m.) gar keine feststellbare absolute Anzahl notwendiger Eigenschaften im Jahresverlauf im Vergleich der Jahre untereinander, von Stand zu Stand sowie von Volk zu Volk? Schließlich ist jeder Bien ein Unikat!

Die Behandler bemerken es daran, dass Milb und Bien sie immer häufiger und auf immer neue Art und Weise austricksen (wollen).

 

 

Noch vielseitiger wird es dadurch, dass es einer sich extrem schnell verändernden Umwelt (variabel durch Klima, Drittorganismen, Trachtverhältnisse und –verlauf, Winterverlauf, Winterfutter aus Spättracht, Pestizide, Gentechnik, …) nicht ausreicht, wenn der Bien die Faktoren lediglich nach üblichem Bedarf reproduzieren kann. Hier bedarf es auch ihrer stets erweiterten9) Reproduktion, da sie zuvor so (noch) nicht gefordert waren. Diese Annahme könnte u.a. auf gelegentlich überraschende Rückschläge bei als varroatolerant etablierten Beständen hinweisen, weil sie in der Masse dieser Anforderung (noch) nicht genügten.

 

Insofern ist anzunehmen, dass gewisse über den Winter auftretende Faktorenkonstellationen durch erfolgreich gegen die Varroose behandelte Bienenvölker durch diese (zunächst) besser überbrückt werden können, als von unbehandelten Völkern.

 

 

Eine zuverlässige Feststellung von Varroatoleranz ist derzeit nur die 
Überlebensfeststellung an Völkern, die langfristig nicht behandelt wurden und nicht behandelt werden. Deren Überleben ist das Ergebnis der Wirksamkeit von Mechanismen, deren Bestandteile und Abläufe sich unserer Wahrnehmung weitgehend entziehen. Was überlebt hat, sieht man und es ergeben sich weder Anlass noch Verlockung etwas herbeizureden. Dabei ist es auch völlig gleichgültig, was Bien und Milb tun, wann sie es tun und wie sie es tun, wenn sie es tun. Die Hauptsache ist, sie tun es so, dass der Bien lebt! Im anderen Falle sterben beide8)

 

 

Eine weitere wesentliche Voraussetzung für die Aktivierung von Varroatoleranz-Mechanismen im Bien ist dessen „kollektive Intelligenz“. Dieser Faktor wurde bisher völlig verkannt. Er ist durch züchterische Maßnahmen (genetische Verarmung) und durch das von Wissenschaftlern inzwischen eingeräumte „Grundrauschen“5) von PSM in der Bienennahrung sowie durch deren zunehmende Eintönigkeit in Gebieten mit Monokulturen sehr verletzbar, was sein Wirksamwerden erschwert bzw. sogar fraglich werden lässt.

 

Wichtig ist es in jedem Falle, dem Bien bei der Schaffung optimaler Bedingungen zur Entfaltung der kollektiven Intelligenz2) zu unterstützen, d.h. primär ein bienen- und nicht unbedingt imkergerechtes Leben führen zu dürfen. Entsprechend sind imkerliche Eingriffe auf den Lebens-Rhythmus des Biens auszurichten. Willkür ist schädlich.

 

 

Ohne den Mut des Imkers, den Bien zu „fragen“, ob er es selber packen könnte, varroatolerant zu sein (Überlebenstest), wird er nie eine Antwort vom Bien zu dessen Varroatoleranzveranlagung sowie zu deren Nachhaltigkeit erfahren.

 

 

Den Weg, hin zur Varroatoleranz zu gehen sowie deren Aufrechterhaltung sind nicht ohne Rückschläge möglich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Varroatoleranz stets volkspezifisch, zunächst auch mit einem eigenen Stress im Bien verbunden sein kann. Dieser Stress könnte Schaderregern (z.B. Viren7) 9), Bakterien, Pilze) in unbehandelten Völkern effektivere Aktivierungsbedingungen schaffen, die so in einem erfolgreich gegen die Varroose behandelten Bien seit der Behandlung für eine gewisse Zeit danach weniger vorliegen mögen. In welchem Maße dieser Stress in unbehandelten Völkern durch das Auftreten von subletalen Vergiftungen (Bienenvolkgefährlichkeit)5) z.B. Desorientierungen (Störung der kollektiven Intelligenz) 2) bei der Überwinterung des Biens durch PSM-Rückstände im Pollen und im Nektar aber auch schon im Aufzucht-Futter der Bienen vorliegt, ist anhand nicht nur individuell gemachter Beobachtungen zu vermuten.6) Dabei geht es insbesondere um die Auswirkungen der Neonikotinoide 10) (Nervengifte) sowie inzwischen auch örtlich zunehmend um die des Bt-Giftes. Bei all diesen Betrachtungen wurde die Anreicherung jener Pestizide über Vorfrüchte im Boden noch nicht hinreichend berücksichtigt, wodurch sie auch über den Nektar und Pollen von Pflanzen auftreten können, die bzw. deren Saatgut damit gar nicht behandelt wurden.

 

 

 Gerade wegen der vielen Probleme sprechen viele Argumente dafür, sich ggf. ernsthaft mit der Problematik der Varroatoleranzzucht (permanenter Überlebenstest) zu beschäftigen. Sie ist alternativlos, auch vor dem Hintergrund, dass die Varroose neben ihren Risiken eben auch die Chance eröffnet, Biens sich wieder zu vollwertigen Biens entwickeln zu lassen, was ganz nebenbei die weitgehende Merzung etwaiger Fehler der Zucht und Züchtelei am Organismus Bien und in der betreffenden Population beinhaltet.

Ein besonders großes Problem besteht aber darin, dass sich nicht jedes Volk als Ausgangsmaterial eignet! Das richtige Gespür und vielleicht auch ein Zufall sind noch immer die zwingende Voraussetzung für den „Ausgangs-Treffer“. Unter diesem Treffer ist aber nicht das Finden eines varroatoleranten Volkes zu vestehen sondern eines Volks, das zunächst Veranlagungen mitbringt, den Weg zur Varroatoteranz erfolgreich zu gehen.

Daneben ist ein entsprechendes Vorgehen auch von der jeweiligen Bienendichte am Standort abhängig, zum Schutz der Nachbarstände aber auch des eigenen Standes vor den jeweils anderen Bienen und Varroen.

 

 

Die Erfahrung bestätigt, in einem mir bekannten Fall seit 1993, dass nach „dürren“ zwei bis drei Jahren wieder mit einer ertragsorientierten Imkerei zu rechnen sein kann und dass die Völkerverluste in den weiteren Jahren mit durchschnittlich rd. 20%, seit 2006 jedoch über mehrere Jahre hinweg auf durchschnittlich höherem Niveau, festzustellen waren. Zu einem Totalverlust kam es dort noch nicht. Hingegen gelang inzwischen eine verlustfreie Auswinterung sowie Durchlenzung.

 

 

Aus der Komplexität des Themas Varroatoleranz wird deutlich, dass allen, denen an Varroatoleranz der Völker gelegen ist, auch an einer intakten Umwelt gelegen sein soll. Sich dafür einzusetzen lohnt sich, nicht ausschließlich für unsere Bienenvölker, sondern gleichfalls für unsere Kinder und Enkelkinder. Sie ist vielleicht das Wertvollste, was wir einmal hinterlassen könnten!

 

Hartmut Schneider

e-Mail: opferlamm@gmail.com

 

Quellen/Nachträge

Veröffentlichungen, die einzelne der hier geschilderten Erfahrungen/Annahmen zu stützen scheinen:

 

1) Varroa/Bienen

     Imkerforum


2) Imkerforum.de:
Studien zur subletalen Wirkung von Neonicotinoiden auf Honigbiene

     dort insbes. Beiträge von Bernhard Heuvel und Gast057 (Rudi Maurer)


3) Landesanstalt für Bienenkunde Universität Hohenheim

   Jahresbericht 2008, Pkt. 6.3.:

   „BEESHOP“: Genetische Basis von Varroatoleranz bei Bienen

     

4) Arnot Forest

     Thomas D. Seeley, Apideologie 38 (2007) 19-29

5) subletale Effekte?…Nosema?

   Zwischenbericht DEBIMO 2004-2008

     Pkt. 2.4 Rückstandsuntersuchungen/Rückstände in Bienenbrot

 6) Vortrag von Hedwig Riebe, DBIB Soltau, 17.01.2010

     Wasser – Gefahrenquelle für unsere Bienen

   
Videoaufnahmen 
dazu

 

7) Dettli: Viren aus gesundheitsökologischer Sicht (Seite 19 Ziff. 6.2)

 

8) R. Büchler: Vortrag über varroaresistente Bienenpoplationen

     – etwa die letzten zehn Minuten des Vortrages

     – Den Sinnen auch zwischen den Worten zu folgen und so evtl. zu

       eigenen Schlüssen zu gelangen, ist ein besondres Erlebnis.              

 

9) Bild der Wissenschaft: Pestizide ebnen tödl. Bienenvirus den Weg

     …Bei den Tieren, die mit dem Neonicotinoid in Kontakt gekommen waren, war 

     ein Gen deutlich aktiver als bei den Kontrolltieren. Wie die Forscher berichten,

     steuert dieses Gen die Produktion eines immundämpfenden Signalstoffs…

 

   10) Klaus-Werner Wenzel

      Neonikotinoide als Verursacher des Bienensterbens – Ein Addendum zu
H.-J. Flügel

 

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